2. Pressemitteilung des »Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig e.V.« anlässlich der Berichterstattung der brandenburgischen Polizei zu den Ereignissen in Fürstenwalde

Anlässlich der Veröffentlichungen der Pressestelle der brandenburgischen Polizei sowie mehrerer Beiträge des bundesweiten Online-Magazins »Vice«, der »Leipziger Volkszeitung« und der »Märkischen Oderzeitung (MOZ)« möchten wir mit dieser Presseinformation noch einmal auf die fehlerhafte und relativierende Berichterstattung der Polizeibehörden hinweisen.

Miriam Feldmann, die Pressesprecherin zum aktuellen Stand: »Der verletzte Fan liegt leider immer noch im Krankenhaus. Er hat über seinen Anwalt bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder Strafanzeige wegen Körperverletzung im Amt und unterlassener Hilfeleistung gestellt. Außerdem wurde die Polizei in Fürstenwalde und deren Pressesprecher dazu aufgefordert, im Rahmen einer öffentlichen Stellungnahme ihre belegbar falschen Aussagen zu widerrufen.« Zwar wurden Teile dieser Aussagen mit dem Hinweis auf »interne Kommunikationsfehler« mittlerweile zurückgenommen, passiert ist dies aber offensichtlich nur aufgrund des öffentlichen und juristischen Drucks.

Mittlerweile sind hochauflösende Fotos und Videos (u.a. https://www.youtube.com/watch?v=AvKT4IGAYXU&feature=youtu.be&app=desktop) im Netz aufgetaucht, die die Berichterstattung der brandenburgischen Polizei ad absurdum führen. »Weder wurde der auf dem Zaun befindliche Fan mehrfach von den Beamten angesprochen, noch wurde er – wie es in der MOZ hieß – von den Beamten vom Zaun gehoben«, so Miriam Feldmann weiter. Deutlich ist zu erkennen, dass ausschließlich der Aktionismus der Beamten zu der schweren Verletzung führte. Der auf dem Zaun befindliche Fan hatte keine Chance aus der Situation zu kommen, ursprünglich in den Raum gestellte Widerstandhandlungen finden offensichtlich auch nicht statt.     Mitnichten hat die anwesende Bereitschaftspolizei die sofortige Erstversorgung geleistet. Sie stellte zwar nach mehrmaliger Aufforderung Verbandsmaterial zur Verfügung – das Anlegen der Druckverbände erfolgte allerdings durch einen Chemiefan mit medizinischer Ausbildung.

Im brandenburgischen Landtag sind die Ereignisse nun auch Thema: Der LINKEN-Abgeordnete Andreas Büttner (MdL) hat das Verhalten der Polizei in einer Kleinen Anfrage behandelt. Das brandenburgische Innenministerium muss sich nun dazu verhalten.

Als Fanhilfe kritisieren wir nicht nur das Verhalten der Beamten am Spieltag selbst. Uns geht es auch darum, wie sich Polizeibehörden als öffentlicher und politischer Akteur gerieren. Das aktuelle Zurückrudern der Pressesprecher der Polizei ist halbherzig, Fehler werden nur scheibchenweise zugestanden. Miriam Feldmann dazu: »Die Strategien der Verschleierung und Vertuschung und die damit verbundenen Kompetenzüberschreitungen in der polizeilichen Pressearbeit zeugen von einem durchaus miserablen Rechtstaatsverständnis.«

Für Rückfragen von Medienvertretern stehen wir gerne zur Verfügung.

Via Mail: kontakt@rechtshilfe-chemie.de

Telefonisch: 01573-2927517

Quellen:

Pressemitteilung des »Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig e.V.« zum Polizeieinsatz und zu einem schwer verletzten Fan am 16. Februar 2020 in Fürstenwalde

Bei dem am Sonntag bei Union Fürstenwalde stattgefundenen Regionalliga-Gastspiel der BSG Chemie Leipzig kam es im Vorfeld des Spiels zu einem unkoordinierten und stark überzogenen Polizeieinsatz der brandenburgischen Bereitschaftspolizei, in dessen Zuge einjunger Fan der BSG Chemie schwer verletzt wurde. Nur dank des schnellen Agierens notärztlich versierter Fans konnte die extrem brenzlige Situation halbwegs gemeistert werden. Aktuell befindet sich der Verletzte vor Ort im Krankenhaus, er wurde bereits operiert. Wir wünschen natürlich alles Gute!

Der mutmaßliche Hintergrund des Einsatzes war ein wetterbedingter Blockwechsel von einigen Chemiefans, die unter der örtlichen Tribüne der »Bonava-Arena« Schutz vor Regen suchten. Die anwesende Polizei unterband den angestrebten Wechsel durch ihr Agieren und verletzte einen Fan dabei so schwer, dass dieser noch am selben Tag im Krankenhaus operiert werden musste. Der Fan, der auf einem Zaun saß, wurde ohne vorherige Ansprache und ohne einsatztaktische Not urplötzlich durch mehrere Beamte brutal heruntergezogen. Die auf dem Zaun befindlichen Zacken bohrten sich dabei in den Oberschenkel des Fans und schlitzten diesen großflächig regelrecht auf. Der durch die Schwere der Verletzung benommene Fan wurde unterhalb des Zaunes liegengelassen. Ein, wie üblich vom Heimverein bestellter Sanitäter war nicht vor Ort: in erster Linie kümmerten sich mitgereiste Chemiefans um die Erstversorgung und das Anlegen von mehreren Druckverbänden. Erst nach etwa 20 Minuten traf endlich ein Rettungsdienst ein, der den Verletzten ins Krankenhaus brachte.

Wir kritisieren nicht nur die Einsatztaktik und das grobe Fehlverhalten einzelner Beamter. Auch die nachträgliche offizielle Berichterstattung ist für den verletzten Fan, seine Freunde und Angehörigen nur schwer nachvollziehbar. Der dort geäußerte Zynismus – der Presseverantwortliche der örtlichen Polizei spricht von einem »wenig sportlichen Fan, der am Zaun hängengeblieben sei« – ist angesichts der Schwere der Verletzung und ihrer Herbeiführung kaum zu übertreffen. Miriam Feldmann, die Pressesprecherin des Rechtshilfekollektivs kritisiert im Zuge dessen, »dass sich Polizeibeamte und vor allem deren Kommunikationsmitarbeiter zum wiederholten Male nicht an objektive Fakten halten, sondern stattdessen aktiv, beeinflussend oder relativierend in öffentliche Wahrnehmungen und Bewertungen eingreifen und somit eine bestimmte ‚polizeiliche Wirklichkeit‘ kreieren«.

Zusammen mit dem verletzten Fan, der Fanszene und dem Verein prüfen wir derzeit rechtliche Schritte gegen die anwesenden Polizisten. »Wir gehen zum aktuellen Zeitpunkt davon aus, dass mehrere Straftatbestände durch die Beamten erfüllt werden«, so Miriam Feldmann weiter. Fans, die die Umstände der Verletzung fotografiert oder gefilmt haben, bitten wir um Mithilfe.

Für Rückfragen von Medienvertretern stehen wir gerne zur Verfügung.

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Die Freiheit im und außerhalb des Stadions verteidigen!

Die Freiheit im und außerhalb des Stadions verteidigen!

Aufruf zur Demo gegen das neue Sächsische Polizeiaufgabengesetz am 26. Januar 2019 in Dresden und gemeinsame Anreise mit dem Zug.

+++Treffpunkt ist 10:45 Uhr am Gleiss 21 auf dem Leipziger Hauptbahnhof+++

Zum Fußball zu gehen ist toll: im Stadion stehen, Bier trinken und Wurst essen. Noch schöner ist es, wenn man solch ein Erlebnis mit Freundinnen und Freunden teilen kann, gemeinsam zu Heim- oder Auswärtsspielen fährt, zusammen groß angelegte Aktionen im Block und außerhalb der Stadien umsetzt und mit Herz und Seele einem Verein einen Teil seines Lebens widmet. Wäre da nur nicht diese eine Sache, die dieses Leben unnötig verkompliziert: die Polizei.
Das es regelmäßig zu maßlos überzogenen, rechtlich fragwürdigen und vollkommen unverhältnismäßigen Polizeieinsätzen im Umfeld von Fußballspielen kommt, ist sicherlich nichts Neues. Dass mit dem neuen PAG genau diese Unverhältnismäßigkeit im Gesetz legitimiert wird und dabei die zugrunde liegenden Grund- und Bürgerrechte des Einzelnen massiv eingeschränkt und zum Teil außer Kraft gesetzt werden, sollte zu Denken geben. Der (Recht)Staat verselbstständigt sich zusehends.

„Vor die Lage zu kommen“ heißt das im Polizei-Jargon: Vorfeldkriminialisierung, Ausweitung des Gefahrenbegriffs, Ansammlung aller möglichen Daten und präventive Ausweitung von weitreichenden Ermittlungsmethoden – das sind die Schlagworte rund ums neue PAG.
Der Begriff des „Gefährders“ zum Beispiel ermöglicht den Behörden in Zukunft, jede_n Besucher_In eines Fußballspiels unter Generalverdacht zu stellen. Die bloße Vermutung, eine Straftat könnte begangen werden, reicht aus, um in den Fokus der Ermittlungen zu geraten.
Hinzu kommt die Legitimierung der Überwachung von Berufsgeheimsnisträgern, flächendeckende Videoüberwachung und Gesichtserkennung, Alkoholverbotszonen, das Einrichten von Kontrollbereichen zur Abwehr von Straftaten und eine militärische Aufrüstung der Polizei z.B. mit Handgranaten. Die Ordnungsämter werden als „Polizeibehörden“ mit weitreichenden und zum Teil polizeilichen Equipment und Kompetenzen ausgestattet. Zur Verhütung von Straftaten dürfen künftig ebenso Aufenthaltsgebote und Hausarreste durchgesetzt und mit Hilfe elektronischer Fußfesseln kontrolliert werden. Die nahezu komplette Überwachung wäre perfekt. Dass das Polizeirecht in Sachsen auch weiterhin keine Notwendigkeit sieht, Polizisten zu kennzeichnen, verwundert dabei keineswegs.

Aus diesem Grund, rufen wir alle dazu auf, sich an den Protesten am 26. Januar 2019 in Dresden gegen das Sächsische PAG zu beteiligen. Es wird eine gemeinsame Zuganreise vom Leipziger Hauptbahnhof in die Landeshauptstadt geben. Treffpunkt ist 10:45 am Gleis 21.

Das sächsische Polizeiaufgabengesetz richtet sich gegen uns alle: vollkommen egal ob Ultra´, Hool, Fan, Supporter, Hopper, Bierliebhaber, oder die Leute, die einfach nur Bock auf Bratwurst, Bier und Fußball haben. Also auch gegen dich – du bist der Gefährder!

Wir werden nach Dresden fahren, um gemeinsam mit vielen anderen Menschen aus einem breiten Bündnis gegen das PAG zu demonstrieren. Aus diesem Grund bitten wir euch, eure Chemie-Klamotten an diesem Tag zu Hause zu lassen. Es geht schlicht um etwas Größeres.

Lasst uns der Landesregierung zeigen, dass wir mit der Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes nicht einverstanden sind und dies nicht ohne Weiteres hinnehmen werden. Wir werden die autoritären sächsischen Verhältnisse nicht akzeptieren!

Nein zur Novellierung des PAG!

Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig e.V.

 

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Wirklich? Schon wieder! Verfahren wegen Bildung einer Kriminellen Vereinigung eingestellt.

Pressemitteilung des Rechtshilfekollektivs Chemie Leipzig:

Fast drei Jahre hat die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden gegen mindestens 20 vermeintliche Ultras von Chemie Leipzig nach §129 der StPO ermittelt, doch herausgekommen ist – mal wieder – nichts. Das Verfahren, das im August 2015 losgetreten wurde, ist nun mit Schreiben an die vermeintlichen Beschuldigten am 20. Juni 2018 eingestellt worden. Lapidar heißt es im Einstellungsbrief aus Dresden »das Ermittlungsverfahren gegen Sie wegen der Bildung Krimineller Vereinigungen (…) wird gemäß §170 Abs. 2 eingestellt«. Weitere Informationen zur Dimension des Verfahrens blieben aus. Zeitgleich erhielten hunderte Dritte – darunter Freunde, Bekannte, Verwandte und Arbeitgeber sowie Kollegen, darunter auch ÄrztInnen – Briefe der Staatsanwaltschaft, dass sie im Rahmen der TKÜ-Maßnahmen mit-abgehört wurden.

 

Bereits zwischen 2013 und 2016 hatten die Ermittler in einem sogenannten »Strukturermittlungsverfahren« gegen die alternative Szene in Leipzig u.a. auch Chemie-Fans und Mitglieder des Vereins der Bildung einer Kriminellen Vereinigung verdächtigt. Damals gerieten neben dem Sozialarbeiter der Fans auch mehrere RechtsanwältInnen, ÄrztInnen und neun JournalistInnen als BerufsgeheimnisträgerInnen in den Fokus von LKA und Staatsanwaltschaft. Bis heute sind die zweifelhaften, bisweilen sogar rechtswidrigen Überwachungen nicht aufgearbeitet worden. Von Fehlerkultur und kritischer Analyse keine Spur. Immerhin hatte man damals knapp 57.000 Telefonate und Nachrichten »erfasst« und feinsäuberlich protokolliert sowie kommentiert. Lapidar hieß es sinngemäß von der Staatsanwaltschaft, dass die Einstellung ein Beleg für das Funktionieren rechtsstaatlicher Institutionen in Sachsen sei.

 

»Zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre wurde damit ein gigantischer Überwachungs- und Repressionsapparat in Bewegung gesetzt, mit dem ein riesiger Kreis von Personen aufgrund einer hanebüchenen Arbeitsthese aus Ermittlerkreisen bis aufs Kleinste durchleuchtet wurde«, konstatiert Fabian Grundmann, Sprecher des Rechtshilfekollektivs Chemie Leipzig e.V.

 

Neben den ehemals beschuldigten Personen, deren Verwandten, FreundInnen, KollegInnen oder GeschäftspartnerInnen richteten sich die Verfahren auch gegen verschiedenste Leipziger Institutionen: gegen zivilgesellschaftliche Vereine, Fußballclubs und deren Fanclubs, Kultur und Jugendzentren, Spätverkäufe, Kneipen oder Jugendhilfeeinrichtungen. Sie alle sollten Teil eines absurden Netzwerks sein, das ein eigenes »Subsystem« aufgebaut habe und »Stimmung gegen Sicherheitsbehörden« propagiere.

 

Dass diese Vorwürfe, die laut Grundmann »eher ins Reich der Aluhüte und Verschwörungstheorien gehören« allen Ernstes durch das Sächsische Ministerium für Justiz kolportiert und gedeckt werden, macht uns tief betroffen. Die Sächsischen Verhältnisse – deren anti-demokratischer, obrigkeitsstaatlicher und repressiver Charakter ja langsam in rückwärtsgewandte Gewohnheit umschlägt – haben ein neues, besonders widerliches Level erreicht. Stellvertretend für alle von den Ermittlungen betroffenen Personen fordern wir eine transparente und lückenlose Aufklärung über den Umfang und die Dimension der praktizierten Überwachungsmaßnahmen. Wir zumindest gehen davon aus, dass die Ermittler zum wiederholten Male ihre Kompetenzen weitreichend überschritten haben.

 

 

Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig e.V.

  1. Juli 2019

 

Wutbürger raus! Der NOFV als Beleg für die Antimoderne.

Wenn Ultras, Politik, Medien und selbst Teile des DFB mehr oder minder subtil die Abschaffung bzw. personelle Erneuerung des NOFV in seiner jetzigen Form fordern, dann muss schon ganz schön was schief laufen beim »Ostzonenverband«. Eine kurze Betrachtung vom Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig.

Die »Causa NOFV« scheint kein Ende zu nehmen. Aktuelle Highlights der angry old men geben sich die Klinke in die Hand. Ein medientechnisches Desaster war die vergangene Woche eiligst einberufene Pressenkonferenz am schönen und geschichtsträchtigen Rangsdorfer See, bei der man der Presse kurzerhand das Filmen und Aufnehmen auf Tonband verbot, um bloß keine gerichtsfesten Belege für das eigene Unvermögen zu liefern. Die anvisierte Intention des Pressegesprächs – größtmögliche Transparenz und Aufklärung zu schaffen – war quasi von einem Moment zum nächsten vollkommen futsch. Toppen kann das eigentlich nur die ad hoc eingerichtete »Stelle« des »Antirassismus-Beauftragten« beim NOFV: durch genau den Spielbeobachter, der beim skandalträchtigen Aufeinandertreffen vom SV Babelsberg und Energie Cottbus im April letzten Jahres mit besten Blick die Hitlergrüße, rassistischen Anfeindungen und antisemitischen Schmähgesänge übersah und überhörte und stattdessen das berühmt-berüchtigte »Nazischweine raus« einer Person »mit Punkerhaarschnitt« aus dem Heimblock monierte und letztlich prononciert in die Anklageschrift des hauseigenen Verbandsgerichts brachte.

Der Skandal kam nicht von ungefähr. Mittlerweile berichtet nicht nur die bundesweite, sondern auch die internationale Presse. Überregionale Politik und diverse Antirassismus-Initiativen sind ebenso empört wie jede Menge Fans und Vereine. Selbst die Washington Post ist auf die »Northeast German Soccer Federation« und den »Nazi pigs out«-Ruf aufmerksam geworden und fragt verwundert nach den komischen Prioritätensetzungen des Verbandes. Doch die schlittern von einer Krise in die nächste, machen am Punkt Krisenmanagement eigentlich alles falsch und sind nicht fähig oder willens, die gemachten Fehler – im Rahmen der selbst proklamierten Aufarbeitung und Fehlerkultur – zuzugeben und geradezurücken.

Aber vielleicht ist das ja auch gar nicht möglich. Ein kulturgeschichtlicher Blick in die Entstehung und Genese des Ostzonenverbandes reicht aus, um zu sehen, dass hier eine krude Mischung aus DDR-Mentalität, Stasi-Expertise und obrigkeitsstaatlichem Denken auf den Konservatismus der Nachwendezeit getroffen ist und eine Art doppelt-reaktionäres Bewusstsein kreiert, ja regelrecht zementiert hat. Durchaus von Interesse wäre eine wissenschaftliche Untersuchung der einzelnen Vitae der Männer mit den weiß-grau-melierten Haaren: egal, ob sie nun Fuchs, Moldenhauer, Milkoreit oder Stumpf heißen. In keinem anderen Sportverband existiert bis heute eine so hohe Verflechtung von informeller Geheimdienstarbeit in der DDR mit einer quasi nicht-existierenden kritischen Aufarbeitung der eigenen Sport- und Verbandsgeschichte. Alte Phrasen, schlechte Herrenwitze und tradierte Lebensweisheiten treffen SED-Kaderdenken und bereitwilligen, christdemokratischen Opportunismus. Mehr Verbohrtheit, Engstirnigkeit und männerbündisches Denken auf engstem Raum ist kaum möglich. So etwas wie Meinungspluralismus oder das Konzept der Diversität sucht man beim NOFV vergeblich. Geradezu karikiert wird es, wenn man sich auf dessen Webseite die Elite der Präsidiumsmitglieder, wahlweise auch des Sicherheits-, Jugend- oder Spielausschusses ansieht. »Alte Männer« wohin das Auge reicht. Bei allem Bewusstsein um Altersdiskriminierung, warum um Gottes Willen sollen gerade diese Typen einschätzen dürfen, was heute »demokratisch legitim«, »moralisch verwerflich« oder strafrechtlich relevant ist? Eine durchaus berechtigte Frage, die neben den betroffenen Fußballfans und bestraften Vereinen vermehrt auch von anderen öffentlichen Institutionen gestellt wird.

Der Kontrollausschuss des DFB zumindest hat sich nun der eigenartigen »Rechtsprechung« des nordostdeutschen Ablegers angenommen. So gar nicht passt das aktuelle, rückwärtsgewandte Agieren des eigenen Provinz-Unterverbandes in das staatsmännische Denken von Grindel, Große-Lefert und Co. Diametral steht es sogar an den Punkten entgegen, die der DFB seit kurzem wieder stark macht: politische »Haltung« in den Kurven, Antirassismus als Verbandsräson und Antidiskriminierung als Standard im Fußballzirkus. Auch für den, erst vor wenigen Wochen vom Bundestag installierten, Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung wäre der NOFV sicherlich ein gefundenes Fressen. Hier zumindest – beim Thema Judenfeindschaft – lassen sich beim NOFV gewisse kontinuierliche Strukturen festmachen. Elemente, die sich am ehesten mit den Begriffen Ignoranz, Unkenntnis, Verdrängung und Verharmlosung beschreiben lassen: klassische Begrifflichkeiten der Antisemitismusforschung, die dafür einst den Begriff des »sekundären Antisemitismus« ins Spiel brachte, um zu erklären, wie sich Abwehrmechanismen gegen Juden modernisiert und weiterentwickelt haben.

Während also – wie neulich bei Chemie – das Ausleeren eines Bierbechers auf dem Spielfeld und das Abbrennen von Pyro mit einem, letztendlich vermutlich, mittleren fünfstelligen Betrag inklusive möglichem Teilausschluss geahndet wird, ist das Rufen antisemitischer Parolen in den Augen der Richter des NOFV, seiner Spielbeobachter und seines Präsidiums scheinbar legitim. Den Skandal vom Babelsberg vs. Cottbus-Spiel vor Augen, bei dem das Nazi-Pack in der Urteilsbegründung gekonnt ignoriert wurde, entschied sich das Sportgericht wiederholt gegen das Ahnden der antisemitischen Entgleisungen, die auch beim Leipziger Derby im Herbst im Stadion stattfanden. Die »Türken, Zigeuner und Juden«-Rufe waren selbst in der MDR-Live-Übertragung deutlich zu hören. Die Ignoranz des Verbandes hat also durchaus Kalkül.

Der NOFV unterscheidet sich beim Thema nicht einmal marginal von der kleinen sächsischen Schwester, dem SFV. Dessen Präsident Hermann Winkler, immerhin auch NOFV-Präsidiumsmitglied, schmiss neulich eine Journalistin des Deutschlandfunks aus seinen Räumlichkeiten, als diese ihn nach der Präventionsarbeit in Sachen Antisemitismus in sächsischen Stadien befragte. Judenfeindlichkeit? »Haben wir hier bei uns nicht«, so lautet der sinngemäße und gängige Abwehrreflex der Funktionäre. Ob hier die vom Landessportbund und der Bundeszentrale für politische Bildung angebotene »Weiterbildung gegen antisemitische Stereotype« weiterhilft oder am Ende der von Woody Allen favorisierte Baseballschläger, müssen die Leser selbst entscheiden. »Irgendwann ist ja auch gut mit der Präventionsarbeit«.

Als Rechtshilfekollektiv unterstützen wir die BSG Chemie und Babelsberg 03 in ihren Berufungen und zivilrechtlichen Anstrengungen gegen die absurden Urteile und vor allem in der Kritik an den ideologisch verkrusteten Verbandsstrukturen. Die Sportgerichte als selbstgerechte Instanzen, die jenseits jeder Verhältnismäßigkeit, vor allem aber gegen wichtige partizipatorische Errungenschaften und Grundrechte agieren, gehören in ihrer jetzigen Form abgeschafft. Und wenn unter dem Label der »Verbandsautonomie« neben einem antidemokratisch-absurden Rechtsverständnis auch noch der Antisemitismus beständig relativiert wird, dann darf der Verband mitsamt seinen Personalien auch als solches in Frage gestellt werden.IMG_3145

Einer geht noch…!

Was war denn da wieder los?

In unnachahmlicher Dreistigkeit hat der Bundestag mal ebenso den massiven Abbau von Grundrechten beschlossen und im gleichen Atemzug wird über die Zunahme staatlicher Überwachung entschieden, als ob man in der Kantine darüber entscheidet, den Nachschlag zu nehmen oder halt nicht.

Ein nicht ganz so drastisches Gesetzgebungsverfahren wird einfach um einen Zusatz ergänzt und schon freut man sich, dass in Zukunft Messenger-Programme auf Smartphones möglicher “Gefährder der öffentlichen Ordnung” von jeder Dorf-Polizeidienststelle aus ausgespäht werden dürfen. So weit, so normal in der Bundesrepublik. Doch neben Online-Durchsuchungen und dem sogenannten Staatstrojaner, gibt es noch eine andere spürbare Veränderung. Diese betrifft Zeugen, die im Zuge polizeilicher Ermittlungen Vorladungen bekommen bzw. Aussagen zu bestimmten Sachverhalten machen sollen.

Wie jeder wissen sollte, war es bisher so, dass man keinerlei Verpflichtung hatte, mit der Polizei zu reden. Wollten die Beamten palavern, so konnte man getrost weghören und weiter seiner Wege gehen. Flatterte das Schreiben mit der schriftlichen polizeilichen Vorladung herein, so konnte diese entweder in die Sammlung eingeheftet werden oder direkt in die Weiterverwertung übergehen. Wer nicht wollte, der musste nicht. Der Polizei standen keine Mittel zur Wahl, mit denen nicht aussagebereite Zeugen zu Angaben gezwungen werden konnten.

Die Zeiten sind nun, wenn auch mit kleinen Einschränkungen, vorbei! Die neue Vorschrift liest sich wie folgt:

Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt.

Interessant wird sein, wie genau dieser staatsanwaltliche Auftrag aussehen muss. Wie nicht anders zu erwarten, bleibt die Gesetzeslage hier äußerst vage. So kann es durchaus schon reichen, dass der Staatsanwalt/die Staatsanwältin der örtlichen Dienststelle der Polizei einen pauschalen “Auftrag” gibt, in all seinen/ihren Verfahren die Zeugen/Zeuginnen einzuladen und in Eigenregie zu vernehmen.
Des Weiteren hielt man es nicht für nötig, die schriftliche Ladung oder gar eine definierte Ladungsfrist explizit einzuführen. So können wir uns womöglich in Zukunft darauf einstellen, dass die Polizei bei Ermittlungen (bspw. im Zuge einer An- oder Abreise zu einem Auswärtsspiel) an Ort und Stelle ein “Ladung” ausspricht und versucht, den oder die ja glücklicherweise gerade anwesenden Zeugen/Zeuginnen zur Aussage zu bewegen. Dass man in so einem Fall selbstverständlich keine Chance hat, von seinem Zeugenrecht auf anwaltlichen Beistand Gebrauch zu machen, wird dabei sicherlich lediglich schmunzelnd zur Kenntnis genommen.

Es wird nicht lange dauern, bis die ersten Präzedenzfälle geschaffen werden. Bleiben wir gespannt.

Und wieder legt der Staat die Daumenschrauben an..

Und wieder legt der Staat die Daumenschrauben an..

 

Mit dem, durch Bundestag und Bundesrat beschlossenen, Änderungsgesetz zum StGB wurden auch die §§ 113, 114 StGB „angepasst“.

Sie umfassen den Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und nun durch Neugestaltung des § 114 StGB den Tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte als eigenständiges Delikt (Vorher mit erfasst v. § 113 StGB).

Die Zielrichtung der Änderungen ist eindeutig: Der Strafrahmen für Widerstandshandlung wird verschärft, um die angeblich gestiegene Zahl von Übergriffen auf Vollzugsbeamte, durch Repressalien und deren abschreckende Wirkung, einzudämmen.

Gestützt auf Studien, die wissenschaftlichen Grundsätzen zur empirischen Datenerhebung leider nicht gerecht werden, spielt die Legislative den willfährigen Erfüllungsgehilfen für die Forderungen der Polizeigewerkschaften. Ohne Rücksicht auf andere Grundrechtsträger, wird hier eine Berufsgruppe, in verfassungsrechtlich bedenklicher Art und Weise privilegiert, ohne dass sich dies irgendwie sinnvoll rechtfertigen ließe.

Aber der Reihe nach:

Schwache Rechtfertigungsgrundlage:

Argumentativ wurde sich vor allem auf die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) gestützt.

Sie kann keine empirische Studie (eine solche wurde seit Jahren nicht mehr durchgeführt) ersetzen. Maßgeblich ist die PKS von der Anzeigebereitschaft abhängig. Das heißt die PKS erfasst nur die angezeigten Delikte, die Dunkelziffern, also jene Delikte die nicht zur Anzeige gebracht werden, bleiben unberücksichtigt. Zum Teil, abhängig vom jeweiligen Delikt, kann das Dunkelfeld um ein vielfaches Höher sein, als die Zahlen, die von der Statistik erfasst werden.

Dies führt dazu, dass die PKS unter Umständen nicht mit der realen Kriminalität korreliert.

Zudem wird sich vor allem auf die, in der PKS aufgeführten, Opferstatistik bezogen.

Für den Tatbestand des Widerstands ist dabei auffällig, dass es wesentlich mehr Opfer als Taten gibt. Erklären lässt sich dies durch den Umstand, dass eine Maßnahme üblicherweise von mehr als einem Vollstreckungsbeamten durchgeführt wird. Kommt es nun zu einer Widerstandshandlung, sind von ein und der selben Tat mehrere Vollzugsbeamte betroffen, die dies zur Anzeige bringen und somit von der Opferstatistik erfasst werden.

Die PKS lässt somit zwar Rückschlüsse auf die Anzeigebereitschaft einer bestimmten Berufsgruppe und deren subjektive Wahrnehmung als Opfer zu, enthält jedoch keine Belege, wonach ein beachtlicher Anstieg der Widerstandshandlungen zu verzeichnen wäre.

Außerdem wird die Opferzählung von Polizeibeamten, die im Falle des Widerstandstatbestands selbst Betroffene sind, durchgeführt, sodass wohl kaum objektive Ergebnisse zu erwarten sind.

Frei nach dem Motto, wer laut genug schreit bekommt Recht, wird hier der Lobby der Polizei, nehmen wir mal sinnbildlich Rainer Wendt, ein großer Eisbecher mit Sahne, garniert mit einer Cocktailkirsche, gereicht.

Aber was bedeutet die Verschärfung der §§ 113, 114 StGB für die Menschen die sich mit dem Tatvorwurf des Widerstands konfrontiert sehen?

Die verfehlte Anpassung des § 113 StGB

Wie bereits erwähnt wird der tätliche Angriff aus § 113 StGB gestrichen, um durch einen neu geschaffenen § 114 StGB diesen als eigenständiges Delikt aufzunehmen. Dazu später mehr.

§ 113 Abs. 2 Satz 2 StGB enthält eine strafschärfende Qualifikation: Das Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, führt zu einer höheren Strafandrohung.

Ursprünglich war zusätzlich erforderlich, dass erst durch eine konkrete Verwendungsabsicht der Qualifikationstatbestand erfüllt war. Dieses Merkmal wurde nun gestrichen. Ein, aus strafrechtsdogamatischer Sicht, völlig unsinniger Schritt.

Das Merkmal Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs ohne Bezug zur Verwendungsabsicht findet sich auch in § 244 Abs. 1 Nr. 1 a) StGB (Diebstahl mit Waffen) wieder. Schon hier führte das Fehlen der Verwendungsabsicht zu einer heftigen Diskussion innerhalb der Literatur und Rechtsprechung über die Auslegung des Tatbestands. Denn gefährliches Werkzeug kann im Prinzip jeder Gegenstand sein, von dem nach seiner objektiven Beschaffenheit, eine abstrakte Gefährlichkeit ausgeht. Also im Prinzip so gut wie jeder Gegenstand, beispielsweise eine Glasflasche.

Trotz dieser erheblichen Bedenken in Hinblick auf den diffusen Begriff „anderes gefährliches Werkzeug“ – zu dem nach der vom Autor vertretenen Auffassung neben der objektiven Beschaffenheit, ein weiteres subjektives Element in Form des „inneren Verwendungsvorbehaltes“ hinzutreten muss, um den ansonsten viel zu weit gefassten Tatbestand zu begrenzen – wurde in der Neufassung von § 113 Abs. 2 S. 2 StGB dem Beispiel des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a) StGB folgend, die Verwendungsabsicht raus gekürzt.

Auf diese Schwachstelle wurde im Übrigen auch der Rechtsausschuss des Bundestages hingewiesen, ohne das dies irgendetwas bewirkt hätte.

Erwartbar, schließlich ist populistischer Reaktionsmus in den seltensten Fällen zugänglich für rationale Argumente. Was für Dilettanten…

Die aktuelle Änderung des § 113 sieht zudem ein strafschärfendes Regelbeispiel vor, sollte „die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begangen werden“

Der Anwendungsbereich, ist recht offensichtlich: Gerade dort wo durch Ansammlung vieler Menschen die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenwirkens erhöht ist, sprich vor allem Demonstrationen und Sportveranstaltungen, wird dieses Regelbeispiel relevant.

Dabei bleibt fraglich, ob in Hinblick auf § 240 StGB also die Nötigung an derer sich § 113 StGB orientiert, der aber selber kein Regelbeispiel enthält, der erhöhte Strafrahmen des § 133 Abs. 2 StGB, unter Einbeziehung der Intensität der Rechtsgutsverletzung, zu rechtfertigen ist. Sobald eine Widerstandshandlung die Erheblichkeitsschwelle zur Körperverletzung überschreitet, bewegen wir uns bei der gemeinschaftlichen Begehung ohnehin im Strafrahmen der gefährlichen Körperverletzung gem. § 224 Abs. 2 StGB. Hier wird das Regelbeispiel des neuen § 113 StGB obsolet.

Bei anderen Widerstandshandlung bestehen Zweifel, ob durch gemeinschaftliche Tatbegehung die Rechtsgutsverletzung derart intensiviert wird, dass von einem besonders schweren Fall gesprochen werden kann. Schließlich wird sich hier auf einem Feld bewegt, wo der Eingriff in das geschützte Rechtsgut ohnehin gerade noch so als strafwürdig angesehen werden kann, insofern als nicht besonders intensiv gewertet werden muss.

Auch der angedrohte Strafrahmen v. § 113 Abs. 2 StGB (Mindeststrafe Freiheitsstrafe v. sechs Monaten) wirkt mit Blick auf die vorgenommenen Änderungen überzogen.

Der neue § 114 StGB

Bleibt also noch als größte Schweinerei der neue § 114 StGB, welcher den Tatbestand des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte erfasst:

Nun, was wird eigentlich vom tätlichen Angriff erfasst?

Als tätlicher Angriff können eigentlich nur solche Handlungen aufgefasst werden, die unterhalb der Erheblichkeitsschwelle der Körperverletzung anzusiedeln sind, mit Vorbehalten könnte das Beispiel des Schubsens angeführt werden; oder wenn der Verletzungsvorsatz entfällt.

Da mittlerweile auch die versuchte Körperverletzung strafbewährt ist, ist der Hauptanwendungsfall des tätlichen Angriffs weggefallen.

Durch den § 114 sollen nun also jene Handlungen die als tätlicher Angriff gewertet werden können, also nicht von §§ 223 ff. StGB (Körperverletzungsdelikte) erfasst werden, mit einem erhöhten Strafmaß bedacht werden, solang bestimmte Berufsgruppen betroffen sind, wo zugleich bei allen Anderen die sich nicht zu dieser Berufsgruppe zählen dürfen, wenn überhaupt, der Tatbestand des

§ 240 StGB (Nötigung) in Betracht kommt.

Der erhöhte Strafrahmen des neuen § 114 StGB lässt sich strafrechtsdogmatisch nicht widerspruchsfrei rechtfertigen, und ist mit Blick auf Art. 3 I GG als verfassungsrechtlich äußerst bedenklich einzustufen.

Zur Klarstellung:

Die §§ 113, 114 StGB dienen Polizeikräften häufig als Reaktionsmittel auf Strafanzeigen aus der Bevölkerung, wirken insofern abschreckend, da die Hemmschwelle Übergriffe der Polizei zur Anzeige zu bringen, so erheblich gesteigert wird.

Wer damit rechnen muss, sich mit einer Gegenanzeige konfrontiert zu sehen, die eine Freiheitsstrafe als Mindeststrafe vorsieht, überlegt es sich zweimal Straftaten von Amtsträgern anzuzeigen.

Wer ernsthaft Interesse hat, Respekt und Anerkennung bestimmter Berufsgruppen zu erreichen, der sollte nicht auf Abschreckung setzen.

Rahmenbedingungen zu schaffen für eine adäquate Ausbildung der Polizeikräfte, die Sensibilisierung im Umgang mit Situationen die Konfliktpotential bürgen, die Erarbeitung deeskalativer Strategien und eine transparente und unabhängige Aufarbeitung von Straftaten im Amt, würden mit ziemlicher Sicherheit zu mehr Respekt und Anerkennung führen.

Stattdessen bückt sich der Staat und lässt sich von den Interessenverbänden der Polizei erneut eine Strafrechtsverschärfung, zugunsten der von ihnen vertretenen Berufsgruppe, diktieren.

Was für ein Armutszeugnis für den hiesigen Rechtsstaat.

„Eins-zwei-neun“

 Fans, Fanprojekt und Rechtshilfe im Visier der Sächsischen Generalstaatsanwaltschaft

Willkommen in Sachsen. Dem Bundesland, in dem es mit der Wertschätzung von Grundrechten und demokratischen Standards nicht besonders weit her ist. Im November 2014 erhielten Fans und Verein der BSG Chemie Leipzig im Rahmen einer hochoffiziellen Preisverleihung zum Sächsischen Demokratiepreis einen Anerkennungspreis für die Arbeit mit von Flucht betroffenenen Kindern und Jugendlichen. Im selben Monat startete ein bei der Dresdner Staatsanwaltschaft angelegtes Ermittlungsverfahren wegen der Bildung einer Kriminellen Vereinigung. Das Verfahren nach §129, das später von der Generalstaatsanwaltschaft des Landes übernommen wurde richtete sich gegen 14 „Beschuldigte“, denen verschiedene Delikte – Körperverletzung, Sachbeschädigung und Beleidigung – vorgeworfen wurden. Unter Ihnen waren auch einige, die regelmäßig den Norddamm im Leutzscher Alfred-Kunze-Sportpark bevölkern, Fans der BSG – aktiv in Verein und Fanszene. Betroffen waren auch Mitarbeiter des Fanprojektes und wir als Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig. Im November 2016 wurde das Verfahren ohne Ergebnis von der Dresdner Generalstaatsanwaltschaft eingestellt, die Beschuldigten erhielten allesamt einen Brief, in dem sie von der Beendigung des Verfahrens informiert wurden.

Der Umfang und die Dimension der Ermittlungen wurde nun mit Einsicht in die Akten bekannt. Die Sächsischen Behörden haben das volle Repertoire an Überwachung eingesetzt um an Informationen zu kommen: langfristige Telefonüberwachungen, Funkzellenabfragen, Observationen von Personen und Objekten, Einsatz von Videoüberwachungstechnik und sogenannten IMSI-Catchern gehörten ebenso dazu, wie das Erstellen von Bewegungsprofilen und der Analyse des Telefon- und Internetverhaltens. Unmengen von Datensätzen wurden generiert, allein 56.000 Verkehrsdatensätze – also aufgezeichnete Sprach und Textnachrichten – sind in den drei Jahren entstanden. Von den mehreren hundert „Drittbetroffenen“ der Ermittlungen wurden 177 darüber benachrichtigt, dass sie „mit-abgehört“ worden. Unter Ihnen sind Ärzte, Rechtsanwälte und Journalisten – allesamt Personen mit einem gesetzlich attestierten Schutz als „Berufsgeheimnisträger“, aber auch Lokal- und Landespolitiker, SozialarbeiterInnen, Fußball- und Vereinsfunktionäre, Familienangehörige und ArbeitskollegInnen. Ein weitaus größerer Teil an Betroffenen wurde nicht informiert.

Die Überwachung und Kriminalisierung von sozialpädagogischen Mitarbeitern des Leipziger Fanprojektes ist eine von vielen ermittlungstaktischen Absurditäten des §129-Verfahrens. Hier lässt es sich „eindrucksvoll“ illustrieren, wie wahllos die Behörden im Rahmen ihrer Überwachungsmaßnahmen agierten und welche haarsträubenden Schlüsse sie aus ihren Observationen zogen. Bildungsfahrten, Räumlichkeiten des Fanprojekts und sozialpädagogische Angebote für und mit Fans waren Teil von Ermittlungsmaßnahmen. Die Kommunikation mehrerer Mitarbeiter des Fanprojektes wurde über einen längeren Zeitraum mitgeschnitten und ausgewertet. Die Grundvoraussetzung für sozialpädagogische Arbeit – ein Höchstmaß an Vertrauen und Klientenschutz – wurde damit quasi ohne Rücksicht auf Verluste ausgehebelt.

Auch wir, das Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig – ein eingetragener Verein, der sich satzungsgemäß u.a. der Präventionsarbeit und der Vermittlung von Rechtsbeiständen verpflichtet fühlt – war seit seiner Gründung Teil der Ermittlungen und Überwachung. Gespräche mit AnwältenInnen, Kanzleibüros, dem deutschen Konsulat in Prag oder anderen Institutionen wurden dokumentiert und akribisch ausgewertet . Die Organisation von öffentlichen Informationsveranstaltungen und die juristische Unterstützung von Fußballfans durch Institutionen wie uns, wurde im Rahmen der Ermittlungen zur Unterstützungshandlung der Kriminellen Vereinigung „uminterpretiert“. Rechtsstaatliche Basisbanalitäten wie die Vermittlung von RechtsanwältInnen oder die Aufklärung über Prozesskostenhilfe somit plötzlich zum Gegenstand „staatsgefährdenden“ Verhaltens.

Die Anhaltspunkte, warum es sich bei den Betroffenen um eine „Kriminelle Vereinigung“ handeln kann sind dabei so dünn wie skurril: eine „gemeinsame Identität“ reicht ebenso aus wie „gemeinsame Treffen“ in Fanprojekt-Räumen oder soziokulturellen Zentren, das „Versenden von SMS“ oder dass „man aus seinem Selbstverständnis heraus Nazis ablehnt“. An Absurdität ist die Ableitungs- und Kombinationslogik der Ermittler kaum zu überbieten. Dass der der Ermittlung zugrunde liegende § 129 insbesondere wegen seiner »Gesinnungsschnüffelei« politisch äußerst umstritten ist, erklärt ein wenig den Kontext des Ganzen: So stellt er die Bildung oder Mitgliedschaft in einer »kriminellen Vereinigung«, bzw. das Werben für eine solche unter Sanktionen, die zwischen einer Geldstrafe und einem Knastaufenthalt von bis zu fünf Jahren variieren. Welche Anforderungen eine Vereinigung allerdings erfüllen muss, um auch das Prädikat „kriminell“ verliehen zu bekommen, ist weitgehend unklar. Im aktuellen Verfahren reichte es augenscheinlich, dass bestimmte Personen häufig miteinander kommunizierten, sich trafen oder gemeinsame Hobbys hatten. Einig ist sich die Justiz insoweit, dass erst ein auf längere Zeit angelegter Zusammenschluss von mindestens drei Menschen mit dem Zweck der Begehung von Straftaten die Einschlägigkeit des § 129 begründet. In der konkreten Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale ist der Paragraph in der juristische Literatur und Rechtsprechung indes höchst umstritten. Ob nach § 129 bzw. seine historischen Äquivalente nun dem „Untergrundverein“, „der staatsfeindlichen, staatshemmenden Verbindung“ oder der „kriminellen Vereinigung“ nachgejagt wurde oder nicht, grundlegend ist zumindest der Gedanke des Kollektivstrafrechts. Danach interessiert es nicht, ob den angeklagten Menschen ein konkreter Bezug zu den ihnen vorgeworfenen Taten nachgewiesen werden kann. Solange die verfolgten Delikte der Vereinigung zuzurechnen sind, der die Beschuldigten angehört haben sollen, ist eine Strafbarkeit hinreichend fundiert.

Das Ermittlungsverfahren wurde Ende November 2016 „mangels hinreichenden Verdachts“ eingestellt, wohlgemerkt nach drei Jahren nahezu kompletter Aushebelung verschiedener Grundrechte! Ihr Ziel – die Errichtung eines Kontrollschirms über große subkulturelle Personenkreise, angefangen bei Stadtteil-BewohnerInnen über Kulturschaffende und Spätverkaufseckensteher bis hin in die Fanszene der BSG, haben die Ermittler dabei erreicht. Gruppenstrukturen, Freundeskreise und Persönlichkeitsprofile sind vermutlich ebenso ausgespäht und dokumentiert wurden, wie die »Ernährungs«- oder Fernsehgewohnheiten oder die privaten Affären- und Liebeleien. So unangenehm das alles ist, etwas Gutes hat die Sache: Es sollte wachsam machen und das Bewusstsein schärfen, dass staatliche Kriminalisierung schneller passieren kann als man denkt. Wer glaubt, die Sache beträfe ihn nicht, der irrt. Dass subkulturelle ProtagonistInnen – egal ob Fußballfans, Graffiti-Leute oder BesucherInnen von Punkkonzerten – samt ihrem Umfeld „qua ihrer Interaktion“ zum Hort von gesellschaftskritischer Schwerstkriminalität gemacht werden, ist sicherlich nicht ganz neu. Trotzdem verdeutlicht es immer wieder die »Irrationalität, Verselbständigung und Verwilderung des Rechtssystems« – in Sachsen nochmal in seiner absurdesten, völlig außer Kontrolle geratenen Form.

Als Forderung kann daher nur der solidarische Umgang mit allen Betroffenen und die Abschaffung des sich immer wieder selbst bloßstellenden § 129 stehen!

Rechtshilfekollektiv Chemie Leipzig e.V., 24. April 2017

Freispruch für drei Chemie-Fans in Freiberg

Sascha, Aron und Michael waren am Amtsgericht im sächsischen Freiberg der Körperverletzung und des schweren Raubes angeklagt. Nach dem Pokalspiel der BSG Chemie beim BSC Freiberg vor knapp zwei Jahren – damals gewannen die Freiberger im Elfmeterschießen – wurden nach dem Spiel drei Fans des Heimvereins in Stadionnähe Jacken und Pullover entwendet. Die an die Tat anschließende Fahndung der Bereitschaftspolizei stellte die drei Angeklagten in der Nähe des Tatorts aufgrund einer groben Täterbeschreibung: groß, kurze Haare und schwarze Jacke.

Drei Verhandlungstage benötigte nun das Gericht, um die Unschuld der drei Angeklagten festzustellen. Mehr als zehn Zeugen wurden dabei angehört. Selbst die Staatsanwaltschaft plädierte am Ende auf Freispruch. Schlussendlich konnten Sascha, Aron und Michael die Tatbeteiligung nicht ansatzweise nachgewiesen werden. Aufgrund der ungenauen Täterbeschreibung ohne individuelle Merkmale hätten mehr als die Hälfte der damals anwesenden Zuschauer als Täter in Frage kommen können. Insbesondere die Verteidigung kritisierte dabei die Ermittlungsarbeit der Polizei, die sich die erstbesten Fans »schnappte« und den Geschädigten als mutmaßliche Täter präsentierte. Die dabei angewandten Methoden der »Identifizierung« genügten laut Verteidigung nicht ansatzweise den Standards und Anforderungen polizeilicher Arbeit. Gericht und Staatsanwaltschaft schlossen sich dieser Argumentation teilweise an, wiesen aber auch auf die schwierige Situation der ermittelnden Beamten hin.

Das Rechtshilfekollektiv freut sich über den Freispruch und ist – wie die Angeklagten und deren Verteidigung – erleichtert darüber, dass eine Verurteilung Unschuldiger abgewandt werden konnte. Die Kosten der Verhandlung trägt in diesem Fall die Staatskasse.