SELBSTVERSTÄNDNIS

 

Unterstützung für Grün-Weiß – unser Selbstverständnis

Für die meisten von Euch ist die Situationsbeschreibung nicht neu. Im Stadion, auf dem Weg dahin, in Zügen oder auf Bahnhöfen, in Vorkontrollen oder sogar außerhalb jedweder Spieltagspraxis: Fußballfans stehen im Fokus von Polizei, Justiz und Ermittlungsbehörden. Im Großen wie im Kleinen, ob in der Bundesligaarena oder im Provinz-Sportpark ist eine zunehmende Repressionsentwicklung im Gang, die sich pauschal und undifferenziert an »aktiven Fans« und deren Szenen abarbeitet.

Über die Hintergründe möchten wir nicht großartig spekulieren. Dass die politische Großwetterlage, ein zunehmend reaktionäres Weltbild in vielen Teilen der Gesellschaft, autoritäres Staats- und Ordnungsdenken, Unkenntnis über Jugend- und Subkulturen und  der Hang gesellschaftliche Probleme in erster Linie durch Repression zu lösen für die aktuelle Situation eine Rolle spielen, ist auch uns nicht entgangen. Erschreckend empfanden wir, wie wenig sich die politischen Diskussionen um die Sicherheit bei Fußballspielen an demokratischen Standards orientieren. Die Diskussions-Praxis zeigt, dass Engagement, Kritik und gelebte Streitkultur permanent ausgebremst und angefeindet werden. Neben allerhand Populismus und parteipolitischer Profilierung ist vor allem das fehlende Gespür für die Vorteile einer von Pluralismus, damit aber auch von Konflikt und Meinungsverschiedenheiten bestimmten, Gesellschaft Anzeichen einer mangelhaften demokratischen Kultur. In Sachsen vielleicht noch einmal ein Stück mehr als anderswo…

 

»Dafür sind wir 89 nicht auf die Straße gegangen«, könnten wir jetzt pathetisch als LeipzigerInnen rufen – tun wir aber nicht. Zum einen, weil sich dies die wenigsten von uns altersbedingt auf ihre Fahnen schreiben können. Zum anderen, weil unser Ideal von gesellschaftlicher Auseinandersetzung ein abweichendes ist und sich am »Jetzt« orientiert und nicht an »alten Zeiten«.

Nichtsdestotrotz würden sich wohl auch die BürgerrechtlerInnen von einst die Haare raufen, angesichts der Rigorosität von polizeilichen Maßnahmen ums Stadion, der Beliebigkeit von Verurteilungen und der zunehmenden Rechtelosigkeit von Fußballfans. Zumindest in Teilen erinnert diese an die »totalitären« Mechanismen des Realsozialismus.

 

Stattdessen wollen wir mit dem »Rechtshilfekollektiv« eine Institution als »Hilfe zur Selbsthilfe« anbieten. Wir sind dabei in erster Linie Teil einer übergreifenden Solidargemeinschaft zur Unterstützung von Fans der BSG, die aufgrund von Ereignissen rund um die Spiele unseres Vereins Probleme mit der Justiz bekommen haben. Als prägend und quasi Initial für die Notwendigkeit einer Unterstützungsinstanz gilt für uns der vollkommen aus dem Ruder gelaufene Polizeieinsatz in Zwenkau im September 2013. Damals misshandelten PolizistInnen einer BFE-Einheit BSG-Fans vor laufenden Kameras. Der Einsatz erlangte bundesweite Aufmerksamkeit und die Fanszene der BSG eine breite Unterstützung.

Allerdings verstehen wir uns auch als Institution, die der Kritik an repressiven Maßnahmen gegen Fußballfans ganz allgemein Ausdruck verleihen will. Durch Öffentlichkeitsarbeit, Vernetzung mit politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren und durch ständigen Informationsaustausch. Dabei können wir sowohl in Leipzig als auch landes- und bundesweit auf ein breites Netz an PartnerInnen zurückgreifen. Der Verbund der Fußball-Hilfen gehört ebenso dazu, wie fachspezifische AnwältInnen und Beratungsstellen. Mit unserer Arbeit organisieren und unterstützen wir Aktivitäten im Kampf gegen die repressiven Maßnahmen der staatlichen Behörden gegenüber Fußballfans und deren Fankultur.

 

Auch wenn die Fanszene der BSG eine – im Vergleich zu anderen – überschaubare ist, soll die Aufklärungsarbeit in unserem Fokus stehen. Präventiv klären wir über Rechte und Pflichten gegenüber den Sicherheitsorganen auf, verdeutlichen, wie wichtig es ist, die Kommunikation mit ihnen auf die gesetzlich vorgeschriebenen Formalitäten zu beschränken und weshalb generell keine weiteren Angaben oder Leistungen ohne Rechtsbeistand getätigt werden sollten. Zudem wollen wir dafür Sorge tragen, dass in regelmäßigen Abständen Informationsveranstaltungen zu aktuellen und spezifischen Problemlagen stattfinden. Darüber hinaus verfolgt, unterstützt und fördert das Rechtshilfekollektiv folgende Aufgaben:

 

  • Hilfe im Umgang mit Verwaltungsbehörden, Polizei und Justiz
  • Rechtliche Überprüfung von Allgemeinverfügungen
  • (juristische) Beratung bei Problemen mit den Sicherheitsorganen oder der Justiz
  • Unterstützung bei Stadionverboten und unabhängige Vertretung von Chemiefans mit Stadionverbot gegenüber den Vereinen und Institutionen
  • Vermittlung von erfahrenen, mit der Fußballfanszene vertrauten Rechtsanwälten
  • Betreuung vor, während und nach Ermittlungs- und Gerichtsverfahren sowie direkte finanzielle Hilfe zur Begleichung von Rechtsanwalts- und Prozesskosten
  • Präventive Maßnahmen wie die Herausgabe von Info-Broschüren und Flyern, öffentliche und geschlossene Veranstaltungen zur Aufklärung über Rechte und Pflichten gegenüber den Sicherheitsorganen und Verhaltensregeln
  • Gezielte Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit zu den Themen Repressionen, Polizeigewalt, Willkür und Stadionverbote gegen Fußballfans
  • Beobachtung und Dokumentation von Polizeieinsätzen
  • Versachlichung der medialen Darstellungen und Gegendarstellungen zur medialen Berichterstattung über Fußballfans

Die Unterstützung des Rechtshilfekollektivs Chemie Leipzig gilt allen Fans, die im Rahmen ihrer Aktivitäten beim und um das Fußballspiel Probleme mit Sicherheits-, Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden bekommen. Im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen wir Euch weiterzuhelfen: ideell, materiell und durch viel Know-How. Allerdings hat unser Support auch klare Grenzen: Fälle, deren Grundlage eindeutig oder latent auf rassistischer, antisemitischer und nationalistisch-chauvinistischer Natur basiert, wollen und können ebenso keine Hilfe von uns erwarten wie Diskriminierungen gegen die sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Disposition von anderen Menschen.

 

Rechtshilfekollektiv Chemie Leiptig e.V., Dezember 2014